zu “Gottesbild”

“Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.” (Johannes 14,9)

In der älteren Version seiner Arbeit machte uns Herr Kluge den Vorwurf eines alttestamentlichen Gottesbildes verbunden mit einem Vergleich mit den Zeugen Jehovas. Es ist positiv, daß er diesen Vorwurf, der entweder mangelnde Kenntnis sowohl des AT als auch unserer Lehre oder einfach die Verwendung von Allerweltsvorwürfen ohne genaue Prüfung offenbarte, zurückgenommen hat.

Es freut uns auch, daß unser Kritiker uns trotzdem große Ehrfurcht vor Gott bescheinigt, vor allem, da wir wissen, daß wir in vielem doch noch so unvollkommen sind und Gott nicht immer die Ehre geben, die ihm gebührt.

Gottesfurcht und Liebe zu Gott sind aber keine Gegensätze. Wir finden beides sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.

5. Mose 6,5 “Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft!” und Hebr 2,3 “… wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung mißachten? Sie hat ja den Anfang ihrer Verkündigung durch den Herrn empfangen und ist uns von denen bestätigt worden, die es gehört haben …”

seien nur als Beispiele für ein alttestamentliches Wort über die Liebe zu Gott und eine neutestamentliche Stelle, die die Konsequenz des Ungehorsams aufzeigt, genannt.

Wahre Ehrfurcht vor Gott und Liebe sind zwei unverzichtbare Aspekte einer lebendigen Beziehung zu Gott.

Nun wirft uns Herr Kluge nicht mehr ein alttestamentliches Gottesbild vor, sondern eines, das “sehr gesetzlich geprägt” ist. Wenn wir aber betrachten, was im Neuen Testament denen vorgeworfen wird, die durch das Halten des Gesetzes gerechtfertigt sein wollen, dann finden wir etwas ganz anderes, als die Praxis unserer Gemeinde. Das alttestamentliche Gesetz und noch viel mehr dessen Interpretation durch die Pharisäer kannte zahlreiche Gebote, die auf einer formalistischen Ebene angesiedelt waren wie Vorschriften über die kultische Reinheit, Speise- und Opfervorschriften, in kleinerem Ausmaß auch Bekleidungsvorschriften, ferner auch das Gebot der Beschneidung und das Halten diverser Feste. Wer sich damit näher beschäftigen möchte, möge vor allem die Bücher Levitikus und Numeri (3. und 4. Mose) lesen.

Wer hingegen das Streben nach Heiligung, die alle Bereiche des Lebens durchdringen soll, als “Gesetzlichkeit” bezeichnet, zeigt dadurch, daß ihm ein Leben in der Nachfolge Jesu fremd ist. Gerade denen, die in Gefahr waren, nach dem Gesetz zu leben schrieb Paulus in Galater 5,24:

“Die aber dem Christus Jesus angehören, haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt.”

Leben in der Nachfolge Jesu und in der Freiheit vom Gesetz heißt gerade, in der Abwendung von Sünden, Leidenschaften und Begierden zu leben. Christliches Leben heißt immer: Leben in der Heiligung.

Es ist auch interessant, daß der katholische Kritiker in den Chor der freikirchlichen Fundamentalisten (Vorgeblich streng bibelgläubige Richtung im Protestantismus, die sich gegen Bibelkritik und moderne Naturwissenschaft wendet.) einstimmt, die uns den “Vorwurf” der Gesetzlichkeit schon seit Jahren gemacht haben, weil wir ihrem oft formalistischen Bibelverständnis nicht zugestimmt haben.

Unser Kampf gegen Sünde entspringt nicht der Angst, Gott zu verärgern. Ein Gott, der verärgert werden kann, ist eine zutiefst heidnische Vorstellung, welche auch der alttestamentlichen Offenbarung widerspricht. Der Kampf gegen Sünde entspricht einerseits der Einsicht, daß eine Handlung böse ist und daher in sich selbst ablehnungswürdig. Andererseits entspricht es dem Wesen des guten Gottes, daß auch seine Kinder aus Liebe zu Ihm das Gute tun und das Böse meiden.

Jesus nachfolgen heißt von Jesus lernen, d. h. seinen ethischen Maßstab zu übernehmen. Der Maßstab Jesu ist nicht ein besonders ausgefeiltes kasuistisches System (Kasuistik: Teil der Sittenlehre, der für mögliche Fälle des praktischen Lebens im voraus an Hand eines Systems von Geboten das rechte Verhalten bestimmt -bei den Stoikern und in der katholischen Moraltheologie-Definition laut Duden, Das Fremdwörterbuch) sondern ein bewußtes Leben in der Hingabe an Gott. So lehrt uns Jesus, Abstand zu gewinnen von den Oberflächlichkeiten des Lebens und uns auch in scheinbaren Belanglosigkeiten von ihm prägen zu lassen. Das von Herrn Kluge angeführte Beispiel (die Antwort eines anderen falsch zu deuten) ist jedoch ein allgemeines Kommunikationsproblem, das sich vermutlich nie ganz vermeiden lassen wird. Die Einheit, die wir miteinander im Glauben haben, hilft uns natürlich auch, einander besser zu verstehen. Vielleicht hat Herr Kluge hier auch etwas, das aus unsicherer Quelle kam, falsch gedeutet.

Als Kontrast zur christlichen Lehre über Gott seien ein paar Sätze eingefügt, die in einer von der römisch-katholischen “Kirche” offiziell anerkannten Marienerscheinung gefallen sein sollen. Am 19.9.1846 wurde im südfranzösischen La Salette von einer Erscheinung folgendes geoffenbart:

“Wenn mein Volk sich nicht unterwerfen will, bin ich gezwungen, den Arm meines Sohnes fallen zu lassen. Er lastet so schwer, daß ich ihn nicht länger zurückhalten kann. So lange schon leide ich um euch! Wenn ich will, daß mein Sohn euch nicht verlasse, so muß ich ihn unaufhörlich bitten …” (nach “Marienlexikon”, hg. R. Bäumer, L. Scheffczyk, Bd. 4, 1992, S. 25)

In dieser sogenannten Kirche wurde also eine Vorstellung als Inhalt einer “Privatoffenbarung” offiziell bestätigt, die Jesus als den zornigen Richter und seine Mutter als milde Fürbitterin darstellt. Diese extreme Verzerrung der biblischen Lehre ist für Katholiken offensichtlich kein Problem, wohl aber die Betonung der von Jesus geforderten Nachfolge.

Der Satz “Zweifeln ist ein gemeines Hinterfragen Gottes” ist in einzelnen Fällen sicher berechtigt, vor allem, wenn jemand schon viel von Gottes Wahrheit erkannt hat und dann ohne jeden objektiven Grund seine Erkenntnis wieder in Frage stellt, aber er stellt keine allgemeine Beurteilung des Zweifels dar.

Zur biblischen Einschätzung des Zweifels siehe Jakobus 1,5-8:

“Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft, und sie wird ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, ohne zu zweifeln; denn der Zweifler gleicht einer Meereswoge, die vom Wind bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde, ist er doch ein wankelmütiger Mann, unbeständig in allen seinen Wegen.”

In einer Liebesbeziehung verschwinden die Zweifel. Zweifel sind daher ein Hinweis auf ein mangelndes Vertrauen in Gottes Liebe. Liebe läßt sich allerdings nicht erzwingen und deswegen sind Aussagen, wie die von Herrn Kluge angeführte gewöhnlich nicht der Weg, jemanden aus Zweifeln zum Vertrauen zu führen.

Wenn wir mitunter den Ausdruck “billige Gnade” verwenden, so schließen wir uns D. Bonhoeffers Kritik an, die er in seinem Werk “Nachfolge” herausgearbeitet hat.

“Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, … Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist?

Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht. Billige Gnade ist darum Leugnung des lebendigen Wortes Gottes, Leugnung der Menschwerdung des Wortes Gottes.

Billige Gnade heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch allein tut, darum kann alles beim alten bleiben. Es ist doch unser Tun umsonst. Welt bleibt Welt, und wir bleiben Sünder auch in dem besten Leben. Es lebe also auch der Christ wie die Welt, er stelle sich der Welt in allen Dingen gleich und unterfange sich ja nicht – bei der Ketzerei des Schwärmertums! – unter der Gnade ein anderes Leben zu führen als unter der Sünde! Er hüte sich gegen die Gnade zu wüten, die große, billige Gnade zu schänden und neuen Buchstabendienst aufzurichten durch den Versuch eines gehorsamen Lebens unter den Geboten Jesu Christi! Die Welt ist durch Gnade gerechtfertigt, darum – um des Ernstes dieser Gnade willen!, um dieser unersetzlichen Gnade nicht zu widerstreben! – lebe der Christ wie die übrige Welt! Gewiß, er würde gern ein Außerordentliches tun, es ist für ihn unzweifelhaft der schwerste Verzicht, dies nicht zu tun, sondern weltlich leben zu müssen. Aber er muß den Verzicht leisten, die Selbstverleugnung üben, sich von der Welt mit seinem Leben nicht zu unterscheiden. Soweit muß er die Gnade wirklich Gnade sein lassen, daß er der Welt den Glauben an diese billige Gnade nicht zerstört. Der Christ aber sei in seiner Weltlichkeit, in diesem notwendigen Verzicht, den er um der Welt – nein, um der Gnade willen! – leisten muß, getrost und sicher (securus) im Besitz dieser Gnade, die alles allein tut. Also, der Christ folge nicht nach, aber er tröste sich der Gnade! Das ist billige Gnade als Rechtfertigung der Sünde, aber nicht als Rechtfertigung des bußfertigen Sünders, der von seiner Sünde läßt und umkehrt; nicht Vergebung der Sünde, die von der Sünde trennt. Billige Gnade ist die Gnade, die wir mit uns selbst haben.

Billige Gnade ist Predigt der Vergebung ohne Buße, ist Taufe ohne Gemeindezucht, ist Abendmahl ohne Bekenntnis der Sünden, ist Absolution ohne persönliche Beichte. Billige Gnade ist Gnade ohne Nachfolge, Gnade ohne Kreuz, Gnade ohne den lebendigen, menschgewordenen Jesus Christus.” (Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, 14. Auflage, München 1983, S. 13-14)

Dieses längere Zitat aus Bonhoeffers Werk soll zeigen, daß auch Menschen, die dem volkskirchlichen System verhaftet waren, die Risiken dieses falschen Gnadenbegriffs kannten und eindringlich aufzeigten.

Den Vorwurf der Werksgerechtigkeit müssen wir klar zurückweisen (Interessanterweise kommt er von einem Vertreter jener Organisation, deren Werksgerechtigkeit die Ursache der Reformation war). Rechtfertigung aus Gnade wird nicht nur verbal vertreten. Wir sind uns unserer Abhängigkeit von Gott bewußt, von dem wir alles empfangen haben, was wir ihm geben können. Die Werke eines christlichen Lebens sind nicht der Grund sondern die Folge der Erlösung.

“Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme. Denn wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus dazu geschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen.” (Epheser 2,8-10).

Der Glaube bringt Frucht. Fehlt die Frucht, zeigt das, daß auch der Glaube fehlt. Glaube ohne Heiligung ist kein Glaube.

“Jagt dem Frieden mit allen nach und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird!” Hebräer 12,14

“Nur der Glaubende ist gehorsam, und nur der Gehorsame glaubt.” (D. Bonhoeffer, Nachfolge, S. 35)

Wer meint, sich einen Platz im Himmel erarbeiten zu können, hat nicht verstanden, was Christentum heißt.

“Er hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in der Himmelswelt.” (Epheser 2,6)

Wir dürfen nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Weil wir im Himmel sind, erfahren wir Gottes Dynamik in unserem Leben, die uns zu einem neuen Leben führt, das ganz anders ist als die Welt erwartet.

Wie würde Herr Kluge wohl Sätze wie “Werke der Nächstenliebe sind der Schlüssel zum Himmel” oder “Werke der Liebe sind immer ein Mittel, Gott näherzukommen.” beurteilen, hätte er sie aus unserem Munde gehört? Bei uns hätte er vermutlich Werksgerechtigkeit geortet, ein Vorwurf, den er “Mutter Theresa” nicht machen würde (Zitate aus: Mutter Theresa, Der einfache Weg, 1995, S. 126 und 127).

Glaube, Nachfolge Jesu ist mehr als nur ein Hobby. Wenn Gott unser Leben bestimmt, ist klar, daß wir ihm alle Bereiche unseres Lebens unterordnen. “Kaufet die Zeit aus!” (Kolosser 4,5)

Das heißt auch, daß wir unsere Zeit von Gott bestimmen lassen. Wenn wir unser Leben vom Willen Gottes leiten lassen, wird manches, das uns früher bestimmt hat, unwichtig. Es geht nicht um das Verbot von Hobbys und “Zeitvertreib” sondern um die Erkenntnis, daß die Zeit zu kostbar ist, um vertrieben zu werden. Wer Gott erkannt hat, hat nun einmal andere Maßstäbe. Jesus hat klar von den Prioritäten eines Jüngerlebens gesprochen (Lk 14,26.33). Wer ihn liebt, erlebt diese Prioritäten nicht als Zwang, sondern als Befreiung zum Wesentlichen.

Herr Kluge verwechselt gerne Ursache und Wirkung. Wenn, wie er behauptet, ohnehin die Praxis der Gruppe vorgibt, was der Bibel gemäßer Lebensstil sei, warum beschäftigen wir uns dann, wie er uns bescheinigt, lange und intensiv mit der Bibel und insbesondere, wie er auch weiß, mit starkem Interesse an der praktischen Lebensführung? Wenn die Worte der Bibel nicht ganz an uns abprallen, müßte doch das Ergebnis sein, daß die biblischen Grundsätze den Lebensstil vorgeben. Wir sind jedenfalls für Verbesserungsvorschläge auf biblischer Basis offen.

Die Bemerkung, dass Jak 2,14-26 große Bedeutung für uns hat, wollen wir als Lob verstehen. Wir wollen uns nicht wie Martin Luther über die Schrift erheben und dieses Werk als “strohene Epistel” verachten und aus der Bibel verbannen (Luther wollte dieses auch mit Hebräer, Judas und Offenbarung tun vergleiche die Vorreden zum Hebräerbrief, zum Jakobusbrief, zur Offenbarung des Johannes aus 1522). Doch sind für uns die Stellen, welche die Rechtfertigung aus dem Glauben betonen nicht weniger wichtig. Jakobus und Paulus stimmen in diesem Punkt überein, betonen nur unterschiedliche Aspekte.

Wie wird Jakobus 2 im Leben der von Herrn Kluge vertretenen “Kirche” sichtbar?